Die Karlsruher Richterinnen und Richter des 1. Senats haben mit Beschluss vom 08. Juli 2021 entschieden: Der bisher gültige Zinssatz von 0,5 % pro Monat (§ 233a Abgabenordnung) auf Steuernachforderungen und Steuererstattungen ist verfassungswidrig. Betroffen ist der Zeitraum ab dem 1. Januar 2014. Was bedeutet dies für die Steuerpflichtigen?

Der Zinssatz, den die Finanzämter auf Steuernachforderungen gegenüber Steuerpflichtigen festsetzen, darf nicht mehr 0,5% pro Monat betragen. Dies gilt auch im Falle von Steuererstattungen, für die Zinsen anfallen. Eine Verzinsung von 6% pro Jahr stehe in diametralen Gegensatz zu der seit dem Jahr 2014 herrschenden Niedrigzinsphase und sei damit evident verfassungswidrig, so der 1. Senat in seinem Beschluss. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, bis zum 31. Juli 2022 eine neue Regelung zu schaffen.

Trotz Verfassungswidrigkeit bleibt der bisherige Zinssatz auf Steuernachforderungen für die Jahre 2014 bis 2018 weiter anwendbar

Auch wenn die aktuelle Regelung seit dem Jahr 2014 verfassungswidrig ist, bleibt die Verzinsung von 0,5% pro Monat bis einschließlich 2018 weiter gültig. „Eine Anwendungssperre verbunden mit der Verpflichtung des Gesetzgebers zur rückwirkenden Neuregelung brächte insoweit erhebliche haushaltswirtschaftliche Unsicherheiten mit sich“, befanden die Karlsruher Richterinnen und Richter.

Im Klartext: Den öffentlichen Haushalten sollen keine unkalkulierbaren finanziellen Risiken aufgebürdet werden durch etwaige Erstattungen geleisteter Zinszahlungen. Deshalb gibt es für die Steuerpflichtigen nichts zurück, trotz festgestellter Verfassungswidrigkeit der Regelung. Dies betrifft alle Zinszahlungen, die die Steuerpflichtigen für die Verzinsungszeiträume der Jahre 2014 bis 2018 geleistet haben und vielleicht noch leisten werden.

Auch wenn Steuerbescheide aus diesem Zeitraum wegen aktueller Betriebsprüfungen noch offen sind, werden die Finanzämter weiterhin 0,5% Zinsen pro Monat in Ansatz bringen und damit die verfassungswidrige Regelung weiter anwenden. So hat es das BVerfG ausdrücklich bestimmt. Rechtliche Möglichkeiten, die betreffenden Bescheide erfolgversprechend anzugreifen, gibt es nicht.

Auch Einsprüche gegen Zinsfestsetzungen, die im Hinblick auf die damals noch ausstehende Entscheidung des BVerfG erhoben wurden, werden die Finanzämter zurückweisen. Die festgesetzten Zinsen müssen bezahlt werden, obwohl die Höhe des Zinssatzes von 0,5% pro Monat verfassungswidrig ist.

Was ist mit Verzinsungszeiträumen ab 2019?

Hier ist der Gesetzgeber gefordert, die Höhe des Zinssatzes bis zum 31. Juli 2022 neu zu regeln. Aber nicht alle Steuerpflichtigen werden automatisch von der Neuregelung profitieren. Nur wer gegen den Zinsbescheid Einspruch erhoben hat oder dessen Bescheid vorläufig ergangen ist und noch geändert werden kann, wird in den Genuss der neuen Regelung kommen. Bescheide, die formell und materiell bestandskräftig sind, können nicht mehr geändert werden.

Nur die Verfassungswidrigkeit der sogenannten Vollverzinsung (§ 233a AO) hat das BVerfG ausdrücklich festgestellt. Auf alle anderen Zinsarten, wie Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen hat die Entscheidung keine Auswirkungen. Die Steuerpflichtigen haben, anders als bei der Vollverzinsung, die Wahl, ob sie diese Zinstatbestände verwirklichen wollen, so die Karlsruher Richter.

Es sei ihnen freigestellt, die Steuerschuld zu tilgen oder sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zu zinsgünstigeren Konditionen zu beschaffen. In all diesen Fällen dürfte demnach der alte Zinssatz von 0,5% pro Monat (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO) auch künftig Anwendung finden. 

Die Finanzverwaltung ist nun gefordert, eine Übergangsregelung für die verfassungswidrige Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen zu schaffen, bis der Gesetzgeber den Zinssatz neu geregelt hat. 

Bild © David Nassim / fizz foto:graphy

Über den Autor

Stefan-Christoph Birch ist Hamburger Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht und Experte für Steuerstrafrecht in eigener Kanzlei. Wenn der Norddeutsche nicht gerade Mandanten vor dem Zugriff des Finanzamts schützt oder Videos zum Thema dreht, joggt er entweder am Ostseestrand oder kocht für seine Familie.

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