2. Februar 2022
Von Stefan-Christoph Birch

Findet der Betriebsprüfer Ihres Finanzamts formelle Mängel in der Buchführung, ist die Steuerschätzung nicht weit. Es drohen steuerliche Mehrbelastungen. Doch es gibt Regeln, die allzu eifrigen Steuerprüfern der Finanzämter Grenzen setzen.

„Wenn die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.“ So bestimmt es § 162 Absatz 1 der Abgabenordnung (AO).

Doch es gibt Regeln, die die Finanzverwaltung einhalten muss. Zunächst gilt die in § 158 AO fixierte Vermutung der sachlichen Richtigkeit der Buchführung. Es wird also erst einmal davon ausgegangen, dass die Buchführung ordnungsgemäß ist.

Buchführungsmängel: Positive Vermutung nicht in jedem Fall

Diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden, wenn Sie als Steuerpflichtige zum Beispiel ihre Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren (geregelt in den §§ 140 – 148 AO) nicht ausreichend erfüllt haben. Dann ist es mit der positiven Vermutung vorbei. Genauer gesagt ist dies der Fall, wenn Sie keine Auskünfte geben können, wenn Auskünfte verweigert werden oder wenn Sie ihre Mitwirkungspflichten auf andere Weise verletzt haben.

Trotzdem gilt: Nur wenn grobe Buchführungsmängel vorliegen, die Zweifel an der Richtigkeit ihrer Buchführung begründen und wenn diese Mängel sich nicht durch weitere Ermittlungen ausräumen lassen, darf die Finanzverwaltung von dem Ergebnis der Buchführung abweichen. Nur dann ist eine Schätzung überhaupt möglich.

Geschätzt wird auch, wenn Sie Bücher und Aufzeichnungen nicht vorlegen (vgl. § 162 Abs. 2 Satz 2 AO). Dabei spielt es nach der Rechtsprechung des BFH keine Rolle, warum Sie die Unterlagen nicht vorlegen können. Aus welchem Grund Sie das nicht tun, ist egal. Ob Sie ein Verschulden dabei trifft, ist unerheblich.

Das Finanzamt kann von Ihnen auch die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung verlangen, um Licht in das Dunkel Ihrer steuerlichen Verhälnisse zu bringen. Kommen Sie diesem Verlangen nicht nach, ist die Schätzung ebenfalls die zwingende Folge.

Bei einer formell ordnungsgemäßen Buchhaltung muss es sich um Mängel von einigem Gewicht handeln. Kann der Prüfer darlegen, dass die Buchführung im Ergebnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht richtig sein kann, darf er schätzen.

Zur Schätzung darf das Finanzamt nur greifen, wenn es den Sachverhalt nicht aufklären kann, eigene Ermittlungen des Finanzamts nicht möglich, unzumutbar oder ohne Erfolg geblieben sind. Die Schätzung ist das letzte Mittel.

Bundesfinanzhof setzt Grenzen für Schätzung

Betriebsprüfer gehen dabei gelegentlich allzu forsch vor, schießen nicht selten über das Ziel hinaus. Es muss überprüfbar sein, ob das Schätzungsergebnis angemessen ist.

Welche Anforderungen die Schätzung der Finanzverwaltung deshalb erfüllen muss, damit diese Überprüfung möglich ist, hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 konkret dargelegt (BFH-Urteil vom 20.3.2017 – X R 11/16):

Danach müssen die gewonnenen Schätzungsergebnisse schlüssig, wirtschaftlich und vernünftig sein. Das bedeutet, dass das Finanzamt alle möglichen Anhaltspunkte beachten muss.

Die Stellungnahmen des Steuerpflichtigen und die an sich fehlerhafte Buchführung gehören dazu. Das Finanzamt muss im Rahmen des Zumutbaren den Sachverhalt, der für die Besteuerung maßgeblich ist wenigstens teilweise ermitteln. 

Auf der anderen Seite soll sich im Rahmen der Schätzung aber auch auswirken, dass der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten verletzt hat. Deshalb kann das Finanzamt einen Sicherheitszuschlag ansetzen. 

Wenn das Finanzamt zum Sicherheitszuschlag greift, müsse dieser in einem vernünftigen Verhältnis zu den erklärten oder nicht erklärten Einnahmen stehen. Die Schätzung soll der Wahrheit möglichst nahe kommen.

Schätzung muss überprüfbar sein

Schätzungen des Finanzamts bieten häufig Angriffspunkte. Deshalb sollten Sie als Steuerpflichtige die Schätzung des Finanzamts auf jeden Fall genau unter die Lupe nehmen. Gegen ungerechtfertigte Maßnahmen können sie sich wehren.

Damit Sie dazu auch in der Lage sind, muss das Finanzamt Ihnen alle Daten einschließlich der Rechenwege herausgeben. Dies sei rechtsstaatlich geboten, wie der BFH in einem Urteil aus dem Jahre 2015 ausdrücklich betont hat (BFH-Urteil vom 25.3.2015 - X R 20/13).

Führt die Auseinandersetzung mit dem Finanzamt zu keinem angemessenen Ergebnis, muss die Angelegenheit notfalls vor dem Finanzgericht geklärt werden.

Bild © David Nassim / fizz foto:graphy

Über den Autor

Stefan-Christoph Birch ist Hamburger Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht und Experte für Steuerstrafrecht in eigener Kanzlei. Wenn der Norddeutsche nicht gerade Mandanten vor dem Zugriff des Finanzamts schützt oder Videos zum Thema dreht, joggt er entweder am Ostseestrand oder kocht für seine Familie.

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